Martin Engler / Case Studies / 2012 / Ritterverlag Klagenfurt

Malerei zwischen Konzept und Intuition

 

„Die Hauptsache, die mit der Malerei nicht stimmt, ist,

dass sie eine rechteckige Fläche ist, die man flach vor der Wand platziert"

                                                                                                                     Donald Judd: Specific Objects

 

Diese auf wunderbare Weise schroffen und wenig – wenn nicht gar keinen – Widerspruch duldenden Thesen Donald Judds sind bald ein halbes Jahrhundert alt und gelten gemeinhin als eine der wesentlichen Grundlegungen der amerikanischen Minimal Art - und eines Großteils der nachfolgenden Malerei diesseits wie jenseits des Atlantiks. Über alle Verwerfungen der letzten Jahrzehnte hinweg beschreiben sie bis heute die Eckpfeiler jenes Ausstiegs aus dem Bild, an dem sich die Malerei in der Nachfolge Barnett Newmans, Marc Rothkos oder Ad Reinhardts mit unterschiedlichsten Vorzeichen und Herangehensweisen, vor allem aber mit immer neuen Lösungen abarbeitet. Judds Absage an das Tafelbild und seine Feier der industriellen Materialität in der 3. Dimension eröffnen auch den Malereien, Objekten, skulpturalen Setzungen Eric Kressnigs einen spannenden Resonanzraum. Mehr noch, erst über dieses ‚tertium comparationis’ erwächst seinem komplexen, im positiven Sinne verwirrend vielschichtigen Werk eine sinnstiftende Struktur.

Um was es geht, ist nach wie vor der Raum – als zentrale malerische Unwägbarkeit. Jener Moment, in dem die gemalte Fläche sich öffnet oder verschließt, das Bild Objekt wird oder die Fläche affimiert. Immer wieder von neuem wird jener spezifische Ort der Malerei vermessen, der sich einer letztgültigen Beschreibung entzieht. Die Arbeiten Eric Kressings umspielen mit Stringenz und Insistenz, im großen, wie im kleinen Format, als Tafelbild oder als komposites, raumgreifendes Objekt eine der spannendsten Fragen der Malerei der Moderne bis in unsere Gegenwart: Wie lässt sich die Malerei, das Bild in seinem nie enden wollenden Zwiespalt zwischen Raum und Fläche, zwischen Fiktion und Objekt, beschreiben, wenn die Bilder ihrer klassischen Räumlichkeit im Sinne einer Abbilds der Realität verlustig gingen?

Der vierteilige, 2,60 Meter hohe Holz-Skulptur Dome, 2009, und Untitled, 2010, deren sechs Leinwandquadrate ein monumentales Wandbild formulieren, unterliegt die identische räumliche Ambivalenz. Bildträger und Bild, reale und malerische Struktur kommen nicht zu Deckung. Zwischen Malerei und Objekthaftigkeit, zwischen Illusionsraum und real in der Tiefe des Gehäuses gestaffelten Farbflächen, wird eine produktive Spannung deutlich. Diese Arbeiten sind Objekt und Malerei in einem kehren ihre 3. Dimension selbstbewusst nach außen und sind zugleich mit jeder Faser ihrer malerischen und objekthaften Präsenz der Tradition des Tafelbilds verpflichtet. Sie sind materialsichtig und zugleich in subtiler Weise malerisch, sind abstrakt und real im selben Atemzug. Faszinierende Verwirrspiele, die Räume öffnen und zugleich verschließen, den Betrachter ins Bild locken, nur um diesen (Bild)Raum umgehend hermetisch in die Fläche zu bannen. Komposite Bildarchitekturen, die sich gegenseitig neutralisieren.

 

Für und mit Donald Judd waren die Dinge zumindest vorläufig klar entschieden. Nur wenig Malerei befand der Minimalist, als Erfinder der ‚Spezifischen Objekte’, die den Illusions-Raum konsequent hinter sich lassen wollten, überhaupt erwähnenswert. Der – gleichwohl in der modernistischen Maler-Wolle gewirkte – Bilderstürmer wollte der Kunst den Raum konsequent austreiben, allerdings nur um im nächsten Schritt die zweidimensionale Flächigkeit endgültig zu verlassen. Er rief das Zeitalter des ‚Real Space’ und der ‚Dreidimensionalen Objekte’ aus, die weder Fisch noch Fleisch sein wollten, weder Skulptur noch Malerei – und doch von beiden Gattungen das Beste in sich vereinten. Dieser neue – echte, reale – Raum, den diese Objekte postulieren, entpuppt sich allerdings als nicht weniger illusionistisch und sinnlich, als höchst vielfältig zwischen Wahrnehmung und Realität oszillierend, denn der Raum der Malerei.

An dieser Stelle, spätestens, kommen die Bildobjekte Eric Kressnigs ins Spiel. Der Gegensatz von Malerei und dem ‚Specific object’ Judds hat sich im Laufe der Jahrzehnte verflüchtigt. Was wir vorfinden, ist eine hybride Malerei, die den Paradigmenwechsel der Minimal Art auf das Bild zurück wendet. Ein Malerei, wenn man so will, der Ambivalenz. Eine Ambivalenz allerdings, die das Unentschiedene, Offene als Chance begreift, der das Sowohl-als-auch stilbildend wird. Eine raumgreifende Arbeit wie The door as an open field, 2003, macht diesen Moment des Hybriden greifbar als offene, wandelbare Setzung, als realiter sich öffnende und verschließene Form. Schon die Tür-Metapher verdeutlicht, dass die Bereiche durchlässig werden sollen, die Grenzen sich verflüssigen. Der malerisch-skulpturale Bastard aus Holz, Aluminium, Siebdruck und Plexiglas ist nicht nur Fläche und Objekt, Malerei und Skulptur in einem, sondern zugleich in der Lage seinen ästhetischen Aggregatzustand spielerisch zu wechseln.  Eine monumentale ‚Boite en valise‘, die das künstlerische Potenzial von Kressnigs Oeuvre in einer mobilen Setzung kondensiert. Vor allem zeigt sich, dass dies keine stringente, teleologische Entwicklung ist. Die Dinge ereignen sich parallel. Dieses Werk entwickelt sich gleichzeitig und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in divergierende Richtungen, ohne Gefahr zu laufen, sich selbst zu verlieren.

 

Was aus diesen vielfältigen und weit reichenden Rochaden zwischen der Kunst und ihrem Raum resultiert, ist aber vor allem ein selbstbewusst auftretender Betrachter, der in ganz neuer Form zwischen dem Bild und seinen vielfältigen räumlichen und materialen Möglichkeiten vermittelt. Wenn wir also nach der Spezifik der Arbeiten Eric Kressnigs fragen, kann der Betrachter, der auf neue Weise mit den Bildern und ihrem Raum in Beziehung tritt, nicht außen vor bleiben. Im Gegenteil, der aktive suchende Blick des Betrachters wird zur zentralen Instanz, wenn wir uns auf die Spur dieses malerischen Raums begeben, der den Bildern und Objekten Eric Kressings einen neuen, hybriden Aggregatzustand verleiht .

Ursprung der Malerei sind im Falle der Bilder Eric Kressnigs ebenso logische – wie bis zur Banalität – einfache Systeme: Bild und Objekt werden vordergründig zur malerischen Rechenoperation, zum Planspiel mit Farbe und Struktur, das auf mathematische, geometrische oder auch lexikalische Koordinatensystem verweist. Mit wissenschaftlicher Unbestechlichkeit wird jeder Arbeit ein System aus Farbe und Form zu Grunde gelegt, aus dem eine Bildraum entsteht, der 2. und 3. Dimension miteinander verschränkt.

In der Lektüre dieses Systems der seriellen Bildgenese erklären sich die Bilder im Zwiegespräch, ohne sich jemals wirklich zu entschlüsseln. Sie scheinen Frank Stellas - wunderbar schlichter - Definition seiner minimalistischen Streifenbilder eine Wendung in die Malerei unserer Gegenwart geben: "A diagram is not a painting. [...] I can make a painting from a diagram, but can you?"  Ein offenes System, das keine letztgültigen Antworten kennt. Das auch im farbmächtigsten Bild immer noch sichtbare Koordinatensystem verweist bis zuletzt auf den wesentlichen Status dieser Bilder, als arbiträre, nur vorläufig gültige, liquide, jedoch gleichsam momentan zur Ruhe kommender Lösungen des Systems.

Die Schriftarbeiten Kressnigs verdeutlichen diesen Punkt mit Nachdruck. In Lover, 2009, werden die fünf Buchstaben des Wortes einer rabulistischen Kombinatorik unterworfen. Eine endlose Flut vorderhand unverständlicher Zeichen in einer Ordnung behauptenden Struktur, die ihr strukturalistisches Angebot aber bewusst nicht einlöst. Die Systematik lässt sich vielleicht irgendwann erahnen. Bedeutung, Sinnstiftender Nachvollzug, allerdings, stellt sich nicht ein. Das System kippt in seiner Abundanz ins Unübersichtliche, was nicht gleichbedeutend ist mit dem Chaotischen. Das Zeichen entblößt sich seiner Lesbarkeit und im Überangebot der Sinneinheiten, geht der Sinn verloren. Der ‚Liebhaber’ verliert sich so im Rapport der Malerei, die Sinnlichkeit und Erotik des Wortes wird überdeckt von der geometrischen Abstraktion aus Farbe und Form.

Ein Verlust allerdings, der nur ein Vorläufiger ist. Denn hier kommt der neue, neu ins Spiel eintretende Betrachter zu Zuge. Nur er kann sich der kollabierenden Systematik entgegenstemmen, in dem er lokalen Sinn erzeugt. So wird im Werk Eric Kressnigs nicht nur Donald Judd, sondern auch Frank Stella neu gelesen. Er tritt zwar nicht an die Stelle des Künstlers, aber er kann einen passageren Diskurs etablieren. Die rabulistische Dynamik des automatisierten Buchstaben-Verdrehens, wird momentan geerdet. Sinn entsteht im Dialog. Malereien, Skulpturen, Objekte und Installationen Kressnigs werden so zu selbstreflexiven Zeitmaschine, die Verloren geglaubtes und Korrumpiertes wieder möglich machen und mit neuem Sinn erfüllen.

Der theoretische Diskurs der 2. Avantgarde, der Minimal und Conceptual Art, wird in seiner Strenge gebrochen. Neben Geometrie und industriell aufgetragener Farbe, neben Materialechtheit und Objekthaftigkeit kommt das Spielerische und Zufällige wieder zu seinem Recht. Dafür, für eine bewusste Abweichung vom gestrengen Formalismus, steht nicht zu letzt die spezifische, im ersten Angang irritierende Farbigkeit Kressnigs: Nicht industrielle, ungemischte, eindeutige Farben kommen zum Zug, sondern eine faszinierend reichhaltige Palette. Unmerklich abgemischtes Weiß, gebrochene Tonalitäten, Mischfarben, die der reinen Leere bewusst widersprechen.

Die vewirrend sich entziehenden, ebenso strukturalen, wie spielerischen Wandarbeiten Sol LeWitts, um einen letzten der hier neu beleuchteten Minimal Künstler zu berufen, kommen in den Sinn. Die Arbeiten Kressnigs formulieren eine Re-Lektüre, eine Aktualisierung des Paradigmenwechsels der 1960er. Deren ‚Matter of factness’ wird sinnlich gebrochen, die Systeme werden Ausgehöhlt, die scheinbare Eineindeutigkeit geöffnet, für einen ästhetischen Mehrwert des Subjektiven, Unreinen, Suggestiven.

 

„Die Art von Kunst, die mich beschäftigt, möchte ich als konzeptuelle Kunst bezeichnen.[...]

Diese Art von Kunst ist nicht theoretisch und keine Illustration von Theorien. Sie ist intuitiv."

                                                                                                      Sol LeWitt: Pragraphs on Conceptual Art